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Tag 5+9 - vexed + flight

Flight

 

 

 

Hey Youngji setzte sich auf ihren Platz. Lautes Gemurmel erfüllte den Plenarsaal, Gruppen von Abgeordneten diskutierten angeregt. Das Podest hinter dem Rednerpult war noch verwaist.
„Guten Morgen, Heo“, grüßte Mitchell sie.
„Morgen. Wie geht es dem Premier?“
„Den Umständen entsprechend gut. Senator Burke hat interimsmäßig die Amtsgeschäfte übernommen. Aber wie läuft es in Korea?“
„Schleppend. Die Wiedervereinigung zieht sich durch den Krieg und die Regierungsbildung ist schwieriger, als gedacht. Das Volk drängt auf eine reguläre Regierung und die ersten freien Wahlen seit immer.“
„Habe ich gehört. Aber sie sollten doch wissen, dass das seine Zeit braucht.“
„Ihr kennt doch das gemeine Volk.“
„Stimmt auch wieder.“
Youngji aktivierte den Bildschirm auf dem Tisch vor ihr und überflog den Ablaufplan. Der Hauptpunkt des Tages waren die massiven Flüchtlingsströme aus den Kriegsgebieten.
„Die Flüchtlinge also wieder. Vielleicht gibt die HFP ja heute ihre Position auf.“
„Glauben Sie das wirklich?“, fragte Youngji sarkastisch.
„Nein. Sarah wird weiterhin jegliche Hilfen verweigern.“
Eine Glocke ertönte. Sofort setzten sich alle Abgeordneten, es wurde still. Präsident Dupard trat mit seinem Stab ein. Die Gruppe ging zu ihren Plätzen auf dem Podest hinter dem Rednerpult. Parlamentspräsident Glockner blieb als einziger stehen und aktivierte sein Mikrofon.
„Meine Damen und Herren. Dieser Krieg verursacht immer größere Flüchtlingsströme. Die Regierungen von zwanzig Planeten hat offizielle Hilfe von der VE beantragt. Die vertagte Sitzung über das Thema werden wir heute fortsetzen. Dazu erteile ich der Abgeordneten Sarah Harkon das Wort.“
Glockner strich sich den Anzug glatt und setzte sich. Aus den hinteren Reihen stand die Abgeordnete auf und schritt durch den Mittelgang auf das Rednerpult zu.
„Guten Morgen, meine Damen und Herren. Dieses leidige Thema der Flüchtlinge zieht sich schon sehr lange. Die Debatte blockiert wichtigere Entscheidungen, die Angesichts des Krieges getroffen werden sollten. Daher wiederholt die HFP ihre Position: Die Flüchtlinge sollten keine Hilfe erhalten, da es unseren Haushalt zu stark belasten würde. Der Krieg belastet unsere Geldreserven bereits sehr stark und momentan ist kein Ende in Sicht. Den Flüchtlingen zu helfen, würde bedeuten den Krieg zu gefährden. Die separatistischen Planeten unterstützen Flüchtlinge ebenfalls nicht und das kommt ihren Kriegsbemühungen zugute. Neueste Geheimdienstinformationen zeigen, dass sie ein Dutzend neue Kreuzer produzieren. Wir müssen dem entgegnen!“
Der Applaus war verhalten und stammte hauptsächlich aus der rechten Ecke des Parlamentes. Sarah trat zurück und ging verließ das Podest. Youngji wurde beinahe schlecht. Ihre Worte waren so menschenverachtend, wie sie es selten gehört hatte. Sofort hob sie ihren Arm, wie ein Dutzend weiterer Abgeordnete.
„Als nächstes erteile ich der Abgeordneten Heo Youngji das Wort“, verkündete Glockner. Youngji schickte ihre Notizen per Fingerwisch zu dem Rednerpult und stand auf. Schnell ging sie zu dem Podest und trat hinter das Pult. „Damen und Herren. Ich muss der Position der HFP entschieden widersprechen. Den Flüchtlingen zu helfen, wird unsere Kriegsanstrengungen nicht beeinträchtigen. Im Gegenteil: Es wird ihnen sogar guttun. Wenn wir den Planeten unsere Hilfe verweigern, riskieren wir weitere rebellierenden Planeten. Die Abgeordneten der Planeten können es sicher bestätigen, täglich treffen hunderte Raumschiffe mit Flüchtlingen auf ihren Raumhäfen ein. Und es ist unsere oberste Pflicht, unseren Bürgern zu dienen und die Menschenrechte zu schützen. Wenn wir den Flüchtlingen jegliche Hilfe verweigern, verletzen wir den Schwur, den wir als Abgeordnete geleistet haben. Ich plädiere daher dafür, den Welten Hilfeleistungen zu gewähren und die Flüchtlinge gerechter auf die Planeten der VE zu verteilen. Wir können uns nicht vor dem Leid dieser Menschen verschließen.“ Der Applaus war deutlich stärker, selbst Dupard klatschte. Youngji kehrte zu ihrem Platz zurück.
„Gut gesprochen“, meinte Mitchell. „Aber glauben Sie, dass der Moralappell bei den Rechten zieht?“
„Nein. Aber wir brauchen nur eine einfache Mehrheit und die Mitte ist noch größtenteils unentschlossen“, erwiderte Youngji.
„Vielen Dank. Ich erteile dem Abgeordneten Damian Lachance das Wort.“
Ein älterer, kräftig gebauter Mann stand auf. Seine rechte Gesichtshälfte war stark vernarbt.
„Meine Damen und Herren. Mit Entsetzen musste ich mir eben die schlimmsten Worte mit anhören, die hier je gefallen sind, nur noch von den Kriegserklärungen übertroffen.“ Youngji stimmte dem ehemaligen General im Stillen zu.
„Ich habe vieles Schreckliches im Krieg erlebt. Aber nichts hat sich tiefer in mein Gedächtnis eingebrannt, als das Elend der Zivilbevölkerung. Diese Menschen leiden unglaublich und sind dringend auf unsere Unterstützung angewiesen. In kann der Abgeordneten Heo nur zustimmen. Ihr Wort hat nicht nur Gewicht, sondern auch viel Wahres. Die Flüchtlingshilfe könnte indirekt diesen leidigen Krieg verkürzen. Ein Krieg wird nicht nur im Feld gewonnen, sondern auch beim eigenen Volk. Und wenn wir unserem eigenen Volk jetzt die Hilfe verweigern, werden sie uns den Rücken zukehren. Denn die Separatisten unterstützen sehr wohl die Flüchtlinge, wie diese Dokumente belegen.“ Auf dem Schirm vor Youngji erschien der neueste Finanzbericht der separatistischen Regierung. Tatsächlich war dort die Rede von Flüchtlingshilfen. Außerdem waren Aufklärungsbilder von großen Flüchtlingslagern angefügt, welche durch das separatistische Militär bewacht und versorgt wurden. „Der Feind ist uns also schon einen Schritt voraus. Wir müssen jetzt handeln!“
Youngji applaudierte kräftig, ebenso Mitchell neben ihr. Lachance verließ das Podest und setzte sich wieder.
„Für einen Quereinsteiger und ehemaligen Veteranen kennt er sich sehr gut auf politischem Pflaster aus“, stellte sie fest.
„Er war ja auch politischer Berater für Highcomm. Vermutlich ist er jetzt ihr Insider, der politisch mitbestimmt“, antwortete Mitchell.
„Echt? Vielleicht sollte ich mein Auge auf ihm behalten.“

 

Als nächstes ergriff ein Abgeordneter von Elladonia das Wort. Er plädierte ebenfalls für Flüchtlingshilfen, allerdings schloss er rigoros eine Verteilung der Flüchtlinge aus. Seiner Ansicht nach sollten sie dort bleiben, wo sie zuerst registriert würden. Youngji stimmte damit nicht überein und widersprach heftig. Ihrer Meinung nach sollten sämtlich Flüchtlinge fair auf jeden Planeten verteilt werden, damit die Last individuell so gering wie möglich bleibt. Als Lösung schlug sie einen Verteilungsschlüssel vor, der nach einigen Kriterien ausgestellt werden sollte. Allerdings stimmten viele Parteien gegen so ein Konzept.

 

Auch nach einigen Stunden war man noch immer nicht auf eine Einigung gekommen. Viele Abgeordnete waren zwar überzeugt, dass man Hilfe leisten musste, doch auf das wie konnte man sich nicht festlegen. Glockner vertagte die Sitzung ein weiteres Mal. Doch für Heo begann jetzt erst die wahre Lobbyarbeit. Sie würde viele Gespräche mit unentschlossenen Abgeordneten führen müssen und versuchen, sie zu überzeugen.

 

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