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Tag 7 - Sob

Sob

 

 

 

Eden 2.5.2214

 

Croyson Memorial 25:09 Ortszeit

 

 

 

Die offizielle Gedenkfeier war schon seit einigen Stunden vorbei. Tobias stand allein auf dem weitläufigen Platz, der einst die Stadt Croyson gewesen war. Vor dem Krieg und bevor der Tod aus dem Orbit regnete.
Langsam schritt er auf die gewaltige Gedenkwand aus schwarzem Marmor zu. Ein Meer aus tausenden Kerzen erleuchtete sie und reflektierte geisterhaft. Zögernd blieb Tobias stehen. Ein flaues Gefühl ließ seinen Magen verkrampfen. Er legte seine Hand auf die Wand, fühlte die eingravierten Namen. Es waren Millionen, eine Mahnung an die Fehler der Vergangenheit. Tobias Hand blieb zitternd über einem Namen hängen.
„Ich vermisse dich. So sehr… Es tut mir leid, damals ohne dich den Job angenommen zu haben“, flüsterte er wie so oft schon. Mit dem Zeigefinger fuhr er die Gravur der Buchstaben nach. Julian Moore. Tränen liefen Tobias Wange hinab, hinterließen brennende Spuren auf ihnen. „Ich… ich… will dich… einfach…“ Er brach ab. Schluchzend lehnte er seinen Kopf gegen die Wand. Erinnerungen an sein fernes Leben vor dem Krieg und Julian kehrten zurück. Wie glücklich sie gewesen waren. Ihre erste lange Wanderung in den Christabergen, ihr gemeinsamer Hund, wie sie beide in der gleichen Firma angenommen wurden. Und dann nichts mehr. Nur noch die erschreckenden Bilder von Feuer sichtbar aus dem Orbit, Kriegsschiffe, die unablässig feuerten. Die Erinnerungen und Trauer überwältigten Tobias, zwangen ihn zu Boden. Er ließ seinen Tränen freien Lauf, weinte, bis er nicht mehr konnte.
„Mein Beileid“, unterbrach ihn eine Frau plötzlich. Tobias wischte sich die Tränen vom Gesicht und sah hoch. In respektvollem Abstand stand eine junge Frau. Sie trug einen schwarzen Mantel, in der Hand hielt sie eine Kerze.
„Danke. Waren Sie bei der Feier?“, fragte Tobias. Er stand auf und trat von der Wand weg.
„War ich. Ich wollte darüber berichten.“
„Sie sind also eine Reporterin.“
„Das bin ich wohl. Sie haben bestimmt schon von mir gehört. Mein Name ist Kasumi Nishino, unabhängige Reporterin.“
„Kasumi? Die Kasumi, die vor einigen Jahren dem UNSC Kopfschmerzen bereitet hat?“
„Ich fürchte, ja.“
„Danke dafür.“
„Ich habe nur meinen Job gemacht. Und es war kein Spaß. Aber reden wir nicht über mich.“
„Sie wollen meine Geschichte?“
„Wenn Sie so freundlich sind.“
„Ich war Ingenieur bei einem mittelgroßen Unternehmen, welches Schlepper produziert hat. Mein Mann Julian hat ebenfalls dort gearbeitet, als Schweißer. Zwei Tage vor dem verfluchten Angriff auf Croyson hat unsere Firma einen Auftrag auf einem anderen Planeten angenommen. Uns beiden wurde angeboten, Teil des Teams zu sein. Julian konnte nicht, da er seine kranken Eltern nicht allein lassen wollte, also wollte ich auch nicht. Aber Julian hat mich schließlich überredet und so bin ich doch mitgeflogen. Ich hätte… ich hätte einfach nie mitfliegen sollen.“ Tobias brach ab. Mit Mühe hielt er die Tränen zurück und unterdrückte ein Schluchzen. Er teilte die Geschichte zum ersten Mal mit jemand fremden.
„Ich verstehe. Wenn… wenn es Ihnen unangenehm ist, müssen Sie nicht weiterreden.“
„Nein, schon gut. Wir waren gerade auf dem Planeten angekommen, als uns die Nachrichten erreichten. Offenbar hatten militante Separatisten Croyson besetzt und fordert die Unabhängigkeit Edens. Ich war selbst Anhänger der Unabhängigkeitsbewegung, aber nie Befürworter so extremer Mittel. Ich versuchte sofort, Julian anzurufen. Doch alle Leitungen waren tot. Unser ganzes Team wurde mit jeder Stunde nervöser. Lange blieb eine Reaktion der VE aus, unser Gouverneur selbst macht unmissverständlich klar, nicht einzuschreiten. Und dann tauchte das UNSC über Eden auf. Präsident Dupard erklärte auf allen Kanälen, dass die VE nicht mit Terroristen verhandeln würde. Und dann ging es ganz schnell. Wir… wir hatte nur wenige verwackelte Streams von Einwohner. Soldaten und Panzer, die unaufhaltsam durch die Straßen vorrückten. Artillerie und Bomber, die langsam die Stadt zerstörten. Und am schlimmsten waren diese Supersoldaten. Mir… mir haben sich die Bilder ins Gehirn gebrannt. Da war dieser wacklige Stream von einem Freak, der auf den Straßen rannte und alles kommentierte – Sie kennen die Bilder bestimmt.“
„Tue ich. Aber reden Sie bitte weiter.“
„Nun gut. Da war dieser Soldat in einer schwarzen Rüstung. Er sah nicht wie ein Marine oder sonst einer von denen aus. Ein Panzer der Separatisten rollte auf den Soldaten zu und schoss. Und aus der Staubwolke trat dieser Soldat unverwundet heraus. Er kletterte auf den Panzer und riss die Luke ab, als wäre sie aus Butter! Das war der Moment, wo uns klar wurde, dass die Schlacht verloren war. Glücklicherweise schwenkte der Mann die Kamera weg, aber man hörte die Schreie und folgenden Explosionen.“ Tobias Hand verkrampfte, sein Herz wurde schwerer. „Und dann explodierte ein Träger des UNSC im Orbit. Offenbar waren die Separatisten in die Hand schwerer Orbital-Abwehrwaffen gelangt. Das wurde später zumindest behauptet. Und in der nächsten Sekunde zog sich das UNSC zurück. Die Separatisten begannen schon zu feiern, die ersten Bürger tanzten auf der Straße. Wir verstanden nichts. Es war eindeutig, dass das UNSC am Gewinnen war. Sie waren innerhalb weniger Stunden bis in die Downtown vorgestoßen.  Nach einigen Minuten wurden plötzlich alle Streams schwarz, nur noch Rauschen. Die Reporter in ihren Studios waren sichtlich verwirrt, was gerade passiert war. Doch dann kam einer neuer Stream und er wurde auf allen Sendern gezeigt. Ein gehackter Überwachungssatellit zeigte, wie das UNSC systematisch Eden vernichtete. Feuer wüteten auf dem Planeten… Das Größte… dort, wo Croyson stand. Und da…“ Seine Stimme versagte, eine Träne rang seine Wange runter. „Wusste ich, dass ich Julian verloren. Alles nur, weil er mich überredet hat“, beendete er flüsternd. Nach einigen Sekunden fing Tobias sich wieder und sah Kasumi direkt ins Gesicht. „Wussten Sie, dass die Opfer eines Orbitalen Bombardements nicht mitkriegen, was passiert? Den einen Moment sitzen sie friedlich in ihrem Haus oder spielen mit ihren Kindern. Im nächsten Moment…“ Tobias schnippte mit den Fingern. „Boom. Grelles Licht und dann ist alles vorbei. Vielleicht sieht man die glühenden Projektile auf einen zurasen oder man hat die Flotte per Teleskop beobachtet. Doch man kann nichts machen. Kein Haus, kein Bunker rettet ein. Man hat nicht einmal die Chance, zurückzuschießen. Die Offiziere sitzen sicher in ihren Sesseln und geben Befehle, während sie millionenfachen Tod hinabregnen lassen. 120.254.098 Menschen lebten auf Eden. 120.000.591 davon starben innerhalb von zwölf Stunden. Ohne Grund. Sie waren unschuldig. Und mit ihnen starben ihre Geschichte, ihre Erinnerungen. Nicht einmal Leichen blieben zurück, die wir hätten beerdigen könnten. Hier, wo wir gerade stehen, war einst ein schöner Park. Der Treffpunkt schlechthin in Croyson. Weitläufig, viel Grün und ein wunderschöner Fluss. All das ausgelöscht. Weil irgendein Admiral einen Befehl gab und die Kommandanten in ihren Schiffen nervös wurden. Es wurden unschuldige Schiffe voller Flüchtlinge abgeschossen, weil sie es wagten, zu fliehen. Es hätte sich ja um ein Kamikazeflieger handeln können! Wie viele Schiffe hat das UNSC verloren? Vier? Fünf? Nicht genug. Sie hätten für dieses Verbrechen bezahlen sollen. Stattdessen paradieren sie auf allen Kolonien, die der Erde noch treu sind und provozieren die Unabhängigen. Sie sind die wahren Feinde!“ Tobias hatte sich in Rage gesprochen.
„Ich… Danke. Ihre Worte waren sehr aufschlussreich für mich. Ich… ich danke Ihnen“, stockte Kasumi.
„Danke, dass Sie mir zugehört haben. Und denken Sie an die wahren Opfer eines Krieges, wenn Sie das nächste Mal über irgendein Militär berichten.“ Tobias wandte sich um und verließ den Platz.

 

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