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Tag 4 - Tear

 

 

 

Die Söldner ließen ihre Reittiere auf dem Hügelkamm reiten. Vor ihnen breitete sich eine fruchtbare Ebene aus. Vereinzelt wuchsen stämmige Eichen und Zedern zwischen den Feldern, einige Dörfer lagen verstreut im Tal. Doch der Frieden täuschte. Elara wandte ihren Blick zum Horizont. An der Küste befanden sich die rauchenden Ruinen einer Stadt. Sie war von großen Sklavenlagern umgeben, unablässig klang das Klopfen von Meißeln zu ihnen.
„Was ist hier passiert?“, fragte sie überrascht.
„Das, meine Liebe, sind die Überreste von Pallagrin. Einst eine mächtige Handelsstadt unter dem Schutze Sestakas, nun eine Ruine“, antwortete Darius ihr. Er war der Anführer der Fünf-Mann- Truppe.
„Aber wieso? Ich war noch vor zwei Monaten in Pallagrin und die Stadt blühte“, wandte Elara ein.
„Du bekommst auch nicht viel mit, oder?“, fragte Julia neckisch. „Sestaka ist vor einigen Wochen gegen Pallagrin gezogen. Allerdings weiß ich nicht, wieso.“
Elara ließ ihren Blick zu den Blauen Bergen zu ihrer Rechten gleiten. Mithilfe eines Fernrohres aus geschliffenem Kristall beobachtete sie die Hauptstraße nach Sestaka. Tatsächlich schienen Karawanen beladen mit Stein und Schätzen in Richtung des Freistaates zu ziehen.
„Und wer schleift gerade die Stadt?“, fragte sie, während sie die Sklaven auf den Mauern beobachtete. In mühevoller Arbeit brachen sie Stein um Stein aus der Stadtmauer und den Gebäuden. Einzig der Palast auf dem Hügel erstrahlte noch in seiner ganzen Pracht.
„Die ehemaligen Einwohner, soweit wir das wissen.“ Darius setzte sein Igral in Bewegung. Die Echse suchte sich einen Weg den Hang hinunter. Nach wenigen Schritt ritten sie im Schatten eines Zitrushaines.
„Darius, warum führst du uns zu diesem verfluchten Ort?“, murrte Kalios.
„Ich will die Träne Pallagrins sehen.“
„Die Träne?“, fragte Julia verwundert. Elara war also nicht die einzige Unwissende. Der gesamte Ort strahlte große Trauer und Unrecht aus. Die Zitrusbäume um sie herum verwelkten langsam. Braune Blätter segelten langsam zur Erde. Bei dem Anblick einer zerfledderten Leiche zuckte sie leicht zusammen. Mehrere Krähen machten sich über dem Festmahl her, stoben aber bei der Ankunft der Gruppe auf. Pallagrin war einst eine schöne Stadt gewesen, die Perle der Tangonbucht. Der Anblick der zerstörten Ruinen stimmten Elara traurig.
„Ein großer Kristall, der auf einem Felsen vor Pallagrin aus dem Meer ragt. Er ist unzerstörbar und kurz nach der Schlacht aufgetaucht. Es heißt, er sei eine Träne Zothenar, welcher die Ungerechtigkeit nicht erträgt.“
„Warum tut er dann nichts dagegen?“, fragte Elara. „Er ist doch schließlich der Gott der Gerechtigkeit.“
„Zothenar wollte etwas unternehmen, wurde jedoch von Kelsus daran gehindert. Er sagte, es handele sich um die gerechte Strafe für einen verlorenen Krieg. Und hitzköpfig, wie der Gott des Krieges eben ist, griff er Zothenar an. Es entbrannte ein bitterer Zweikampf zwischen den beiden Göttern. Seine Zwillingsschwester wollte Kelsus aufhalten, doch er stieß sie einfach zur Seite.“
Sie erreichten die Ausläufer eines ehemaligen Schlachtfeldes. Massengräber wuchsen überall aus der Erde, zerfetzte Banner wehten über ihnen. Elara fiel auf, dass nur auf Gräbern der Sestaka Grabbeigaben lagen, Gräber der Pallagrin waren bar jeder Ehrerbietung. Eine Schande, dachte Elara.
„Deswegen gewitterte es fast überall auf Elar. Erst Ixis, die Göttermutter konnte den Konflikt beenden. Sie verbat Kelsus, sich in Zothenars Gelegenheiten einzumischen. Ebenso verbat sie Zothenar, den Pallagrin zu helfen. Als Reaktion vergoss er eine einzelne Träne, welche in der Bucht landete. Sie dient allen als Zeichen der Hoffnung“, schloss Darius seine Erzählung.
„Schöne Geschichte“, meinte Fahlia.
Schweigend ritten sie durch das Sklavenlager vor dem Haupttor. Oder dem, was davon übrig war. Mit hohlem, anklagendem Blick schauten die Männer und Frauen ihnen hinterher. Die Wachen würdigten den Söldner keinen Blick. Ungehindert konnten sie über das gebrochene Pflaster in die Stadt reiten. Elara hatte Schwierigkeiten, irgendetwas wiederzuerkennen. Ihr Herz zog sich zusammen und sie griff die Zügel ihres Igral fester.
„Lass uns schneller reiten“, schlug sie vor.
„Gute Idee. Ich fühle mich von den leeren Gebäuden verfolgt“, meinte Julia.
Mit einem Schnalzen verfielen sie in einen Trab. Sie jagten durch leere Gassen, an zerstörten Häuern vorbei. Immer wieder mussten sie Karren mit Steinen und Sklavenkarawanen ausweichen. Sie sahen ausgesprochen wenige Soldaten.
„Wo sind die Soldaten? Fürchten sie keinen Aufstand?“
„Wogegen sollten die Sklaven rebellieren? Sie reißen ihre eigenen Häuser ab, Hunderte ihrer Mitbürger wurden in Sestaka hingerichtet. Sie haben nichts mehr, außer ihr Leben“, meinte Darius.
„Sie können ein Zeichen setzen! Das sie nicht mit Sestakas Art einverstanden sind!“, entgegnete Elara.
„Liebes, deine junge Naivität in Ehren, aber so funktioniert Krieg nicht. Aber ich habe das Gefühl, dass wir noch früh genug den Krieg kennen lernen werden.“ Irgendetwas an Darius Tonfall ließ Elara frösteln. Er hatte Recht und das wussten die anderen Söldner auch.

 

Endlich erreichten sie den Hafen. Sie ritten an dem großen Steinkai entlang, bis sie die Küste erreichten. Die Söldner stiegen ab und führten ihre Igrals am Zügel weiter. Über eine morsche Holztreppe betraten sie den Kiesstrand. Sie schwiegen, während sie langsam zur Wasserlinie gingen. Wasser umspülte ihre Füße, während sie sich von der Stadt entfernten.
„Dort!“, meinte Kalios. Er zeigte auf das Meer hinaus. Dort wuchs ein großer Felsen hinaus. Ein großer, tränenförmiger Juwel saß auf seiner Spitze. Er brach das Licht der Sonne in vielfältiger Weise und leuchtete weithin.
„Die Träne Pallagrins“, flüsterte Darius ehrfürchtig. Die Söldner rückten näher zusammen. Elara zog ihr Schwert und kniete nieder.
„Was hast du vor?“, fragte Fahlia neben ihr.
„Zothenar schwören, Pallagrin zu rächen.“
Fahlia kniete ebenfalls nieder, ihren Speer vor sich in den Boden gerammt. Ohne Fragen knieten die anderen Söldner ebenfalls nieder. Jeder zog seine Waffe und legte sie vor sich auf den Boden. Kalios ergriff das Wort. Er stammte aus einem der umliegenden Dörfer und war einst Wanderpriester des Zothenar.
„Zothenar, höre uns an. Wir bieten uns als deine Diener an und werden die Gerechtigkeit in deinem Namen wiederherstellen. Ich, Kalios Parralei, biete dir meine Klinge und werde alles in meiner Macht Stehende tun, um Pallagrins Unrecht wieder gut zu machen“, rief er feierlich.
Julia wiederholte seine Worte, gefolgt von Darius und Fahlia. Elara schluckte kurz, bevor sie ebenfalls begann: „Ich, Elara Aruartis, biete dir meine Klinge und werde alles in meiner Macht Stehende tu, um Pallagrins Unrecht wieder gut zu machen.“
Die Söldner erhoben sich. Wie zur Antwort schien die Träne aufzuglühen. Ohne ein weiteres Wort wandten sich die Söldner um und kehrten zum Hafen zurück.
„Auf nach Tefar. Dort haben wir die besten Chancen, unseren Eid zu vollfüllen“, meinte Darius und saß auf. Elara zögerte kurz, bevor sie ebenfalls aufsaß. Tefar. Sie war seit zwanzig Jahren nicht mehr in ihrer Heimat gewesen. Ob Adhara wohl immer noch Teil des Elderordens war?
Sie schüttelte den Gedanken ab, einzig ihr Eid war jetzt wichtig. Zothenars Hand, wie sie sich künftig nannten, jagte aus Pallagrin. Das Klopfen der Meißel und Stöhnen der Sklaven verfolgte sie bis zur Grenze Sestakas.

 

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